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Mein (Um)Weg in den Bundestag

18.01.2017

14 Jahre lang arbeitete ich beim Radio. Als Moderator, Redakteur, Autor, Produzent, Producer - und kam über Umwege in die Politik. In diesem Blog erfahrt ihr meine persönliche berufliche Geschichte.

Geboren in der DDR, aufgewachsen in der UdSSR

Zu Welt kam ich vor 34 Jahren in Dresden. Auch wenn mein Vor- und Nachname deutsch sind - ich bin ein waschechter Russe. Zumindest ethnisch gesehen. Meine Mutter kam in Sibieren zur Welt und wuchs in der Heimatstadt ihres Vaters, in Riga, auf. In den 1970ern ging sie in die DDR, 1982 kam ich zur Welt. Mein Vater verließ sie vor meiner Geburt, 1983 ging sie zurück nach Riga, damals Teil der UdSSR. Wir lebten in einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung mit meiner Großmutter auf engstem Raum. Ein Bett und ein Schrank auf wenigen Quadratmetern im Wohnzimmer und gleichzeitig Zimmer meiner Mutter - das war meine Welt bis 1990. In den wirren Gorbatschows Perestroika erlebte ich hunderte Meter lange Schlangen nach ein paar Suppenhuhn-Knochen, monatelang leere Regale in Geschäften, blühende Geschäfte auf Schwarzmärkten und die berühmt berüchtigten politisch geladenen, heimlich geführten Küchengespräche, bei denen sich Erwachsene über das Sowjet-Regime aufregten und über alles und jeden herzogen.

Mit einem Koffer nach Berlin

1990 erklärten sich die Baltischen Republiken Litauen, Lettland und Estland für unabhängig und es kam zu blutigen Zusammenstößen von Demonstranten und sowjetischen Spezialeinsatzkommandos. Wochenlange Proteste, Panzer, Schießereien - im Frühjahr 1991 packten wir unsere Koffer und fuhren mit dem Zug nach Berlin. Nach einigem hin- und her und ein paar Monaten im Asylbewerberheim in der Nähe von Ahrensfelde (im selben Heim wohnte der heute prominente Autor Wladimir Kaminer!), zogen wir in einen Plattenbau in Berlin-Hohenschönhausen. Bereits 1992 konnte ich ganz passabel Deutsch sprechen, verließ die 4. Klasse einer Marzahner Grundschule in Richtung des Johann-Gottfried-Gymnasiums in Lichtenberg. Mit 12 bekam ich ein Radio, hörte jeden Abend ENERGY 103,4 und beschloss im Alter von 13 Jahren: Ich werde Radiomoderator bei meinem Lieblingssender.

Ziel mit 13: Radiostar werden

Gesagt, getan. Ich fand zwei Jugendprojekte, in denen Kinder- und Jugendliche Radio spielen konnten - live im Offenen Kanal Berlin. Durch diese Projekte lernte ich großartige Mentoren (Clemens Hartmann und Prof. Peter Neumann) kennen, machte in den Sommerferien Praktikat bei BB Radio und Star FM und landete mit meiner Bewerbung samt Demokassette beim damaligen ENERGY-Programmchef Christoph Lemmer. Dieser stellte mich nach einem kurzen Gespräch ein. Ich war 18, versuchte mit Ach und Krach mein Abi zu bewältigen und mein Glück kaum fassen: Radiomoderator bei meinem Lieblingssender. Was ich mir mit 13 vorgenommen hatte, habe ich mit 18 erreicht. Unfassbar oder?

Erst Traum erfüllt, dann Albtraum bekommen

Die folgenden drei Jahre waren der absolute Wahnsinn. Coole Kollegen, viele Hörer und Fans, eigene Autogrammkarten, zahllose Parties, eine unglaublich kreative, spaßige, erfüllende Zeit. Die natürlich vorbei gehen musste. Das Privatradio war damals eine sehr unsichere Branche. 2003 kam ich zu 89.0 RTL in Halle/Saale, zwei Jahre später zu Radio PSR in Leipzig, später war ich bei Hitradio RTL Sachsen in Dresden, BB Radio in Potsdam und schließlich Radio Regenbogen in Mannheim. Mein Fazit: Die unbezahlten Überstunden wurden immer mehr, Kreativität und Spontanität immer verhasster, die Vorgesetzten immer unfähiger, die Branche immer verschlossener gegenüber Neuerungen, wie Digitalisierung und Social Media. Aus meinem Traumberuf wurde ein Albtraum - ich fühlte mich gefangen in einem Käfig voller Narren. Und beschloss auszusteigen.

Der Tausch: Vom Studio auf die Schiene

Kennt ihr das? Ihr habt einen Plan, ihr tut alles menschenmögliche, um ihn zu in die Tat umzusetzen, aber es klappt nicht. 2014 beschloss ich, meinen Beruf als Radiojournalist aufzugeben. Ich hatte das Gefühl, dass ich beim Radio nicht weiter kam. Ich spürte, dass ich einen kompletten Perspektivwechsel brauchte. Ich verschlang Artikel über StartUps, Großkonzerne, HR- und Marketingstrategien und merkte: Die Radiobranche war in den 1990ern stehengeblieben, während sich die restliche Welt weiter entwickelte! Da ich 2007 bis 2010 neben dem Radio noch Kommunikations- und Medienwissenschaften mit den Schwerpunkten PR und Politik an der Uni Leipzig studiert hatte, überlegte ich, wo ich am liebsten meine Fähigkeiten umsetzen wollen würde. Das Ergebnis: Die Pressestelle der Deutschen Bahn. Ich checkte also deren Website und Bingo: Es wurden Leute gesucht. Drei Bewerbungen später musste ich feststellen, dass die Bahn zwar Leute suchte - aber nicht mich. Doch dann bekam ich eine Annonce des privaten Nahverkehrsanbieters Veolia Verkehr (heute Transdev) zu Gesicht, bewarb mich und wurde prompt eingestellt. Und ich sollte es nicht bereuen...

Tägliche Krisen: Alltag bei der "Bahn"

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei einem privaten Nahverkehrsunternehmen verlangt einem eine Menge ab. Prozessrichtlinien überarbeiten, Präsentationen designen und übersetzen, Sprachregelungen schreiben, Anfragen beantworten, Interviews und Events (mit)organisieren, nervige Bahnfans ("Pufferküsser") abwimmeln, Social Media-Monitoring, Kundenbeschwerden bearbeiten, negative Berichterstattung abwehren, Presseverteiler erstellen - ich habe eine Menge gelernt! Das traurige, aber beruflich wichtige, Ereignis war die Zug-Katastrophe von Bad Aibling. Als ich um 7:50 Uhr im Büro ankam, waren knapp 30 Minuten seit dem schrecklichen Unglück vergangen und ich saß als Erster am Pressetelefon. Danach mussten meine Kollegen und ich nur noch funktionieren: Hunderte Presseanfragen von Medien aus aller Welt, Interviews mit CNN, ARD, ZDF und RTL, Pressekonferenzen, komplexe Bahntechnische Zusammenhänge und das Wissen, dass gerade viele Kollegen und Fahrgäste ums Leben gekommen sind. Es waren ein paar heftige Tage, die ich nie vergessen werde. Und das in meiner vorletzten Arbeitswoche, bevor es in den Bundestag ging.

Gestalter, statt Befehlsempfänger

Wer mit mir eine Weile zu tun hat, weiß: ich will gestalten, aufbauen, etwas neues machen - und dabei eine Menge Spaß haben. Ich will Dinge ausprobieren, experimentieren und mal etwas riskieren, statt hin- und her zu grübeln. Ich schätze Auftraggeber bzw. Vorgesetzte, die meiner Expertise, Vorgehensweise und Persönlichkeit vertrauen, statt mich auf Schritt und Tritt zu kontrollieren. Ein Glück, dass ich Christina Schwarzer (CDU) kennen lernen durfte und sie mir die Chance gab, ihr PR-Mensch zu sein. 

Seit März 2016 arbeite ich in ihrem Bundestagsbüro im Jakob-Kaiser-Haus im Deutschen Bundestag. In diesem Blog teile ich meine Erfahrungen aus meinem Arbeitsalltag und den ein oder anderen Gastbeitrag. Freue mich über Kommentare und Feedback: mail@philippgraefe.com

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