Wie funktioniert das Soziale Netzwerk Jodel? In diesem Artikel erfährst du die Basis-Funktionen und ob es sich lohnt, bei Jodel politische Kommunikation zu betreiben.
Stell dir vor, du kommst in deine Lieblingskneipe und dort hängt ein Schwarzes Brett. Du pinnst einen Zettel mit einem Statement oder ein Polaroid-Foto mit einem Spruch drauf. Wichtig: auf deinen Zettel bzw. das Foto schreibst du weder deinen Namen, noch deine Kontaktdaten drauf – du lässt alles anonym. Anschließend setzt du dich an die Bar oder verlässt die Location.
Nun kommen neue Gäste in die Kneipe. Sie kennen dich nicht und du sie auch nicht. Der ein oder andere läuft an deinem Zettel/Foto vorbei und steckt eine Stecknadel durch. Kommt die Stecknadel in die obere Ecke deines Statements, signalisiert er Zustimmung. Stecknadel im unteren Bereich bedeutet "nicht mein Fall". Gibt es zu viele negative Reaktionen auf dein Statement, hängt irgendwann der Wirt der Kneipe dein Statement ab. Findet dein Statement dagegen immer mehr Zuspruch, wird dein Zettel bzw. Foto angeleuchtet, damit mehr Kneipengäste es sehen. Und selbstverständlich können andere auf deinen Spruch bzw. Foto mit eigenen Zettelsprüchen und Fotos antworten. Diese Antworten wiederum können ebenfalls bewertet und beantwortet werden - von dir und von anderen. Das Ganze unter der Voraussetzung, dass jeder stets anonym bleibt und alle Beteiligten nichts Schlimmes schreiben und/oder zeigen.
Klingt doch einfach, oder? 😂
Als ich das erste Mal Jodel auf meinem iPhone installierte, blickte ich null durch. Ähnlich wie einst bei Snapchat oder Musical.ly. Doch während Snapchat und Musical.ly einen hohen Spaßfaktor durch Filter, Emojis, Stories und Musik bieten und das Lernen der durchaus komplexen Bedienung durch unterhaltsamen Content "versüßt" wird, empfand ich Jodel als sehr komplex, unübersichtlich und einfarbig im Design. Dennoch nutzte ich die App ein paar Tage lang, um mich auf ein AskMeAnything-Jodel im Rahmen der #jodelwahl-Initiative mit der CDU-Bundestagsabgeordneten Christina Schwarzer vorzubereiten.
In diesem Format stand Christina Schwarzer, wie zuvor schon Claudia Roth und Christian Lindner, interaktiv für Fragen der User zur Verfügung. Sie hatte eine Stunde lang Zeit, auf so viele Fragen wie möglich zu antworten. Los ging es mit diesem Bild. Da Anonymität hier keinen Sinn ergeben hätte, durften Gesicht sowie der Name erscheinen.
Das erste Posting wird stets mit dem Akronym OJ (steht augenscheinlich für "Original Jodler") gekennzeichnet. Kommentatoren erhalten in chronologischer Reihenfolge Nummern, also 1, 2, 3 usw. Wenn man als Original Jodler auf einen bestimmten Kommentar eingehen will, müssen das @-Zeichen sowie die jeweilige Kommentatoren-Nummer vorausgestellt werden. Die Antworten auf Kommentare erscheinen jedoch nicht, wie z. B. bei Facebook oder Instagram, direkt unter dem jeweiligen Kommentar, sondern im Zeitstrahl der gesamten Unterhaltung.
In unserem Fall prassten also in kürzester Zeit dutzende Fragen auf Christina Schwarzer ein. Ernst gemeinte politische Fragen waren rar gesät. Es dominierten eher Lifestyle-Fragen, wie "Wo hast du die Kette her?", Quatschfragen und Statements mit klassischem Politik- sowie CDU-Bashing. Meiner Ansicht nach zeigt Jodel für politische Diskussionen derzeit mehrere gravierende Probleme auf:
- Unübersichtlichkeit des Streams: Viele User waren unzufrieden, dass auf ihre Fragen nicht eingegangen worden ist. Ohne die Antworten abzuwarten, wurde Christina Schwarzer Absicht vorgeworfen, was natürlich vollkommener Unsinn war.
- Geringe Zeichenzahl: Die Postings und Kommentare sind auf 240 Zeichen begrenzt, Verlinkungen auf Webseiten oder zusätzliche Dateien im Anhang sind nicht möglich. Politische Haltung, Meinungen sowie Zusammenhänge lassen sich nicht in wenigen Wortfetzen darlegen – außer man möchte Politik auf Trumps Twitter-Niveau betreiben.
Fazit: Jodel ist ein netter Spaß für Zwischendurch in einer durchaus politisch interessanten Zielgruppe. Eine prominente Platzierung von politischen Akteuren ist ausschließlich im Rahmen von von Jodel initiierten Aktionen realisierbar, da das Netzwerk ansonsten hohen Wert auf die Anonymität aller Teilnehmer legt. Die Überschaubarkeit ist mangelhaft, die Erwartungshaltung der User an eine hohe Interaktionsgeschwindigkeit geradezu utopisch. Zudem ist das Userinterface alles andere als intuitiv. Das Design wirkt zwar modern bunt, aber auf Dauer eintönig. Ich könnte mir Jodel höchstens mittelfristig als einen virtuellen Ort für die Platzierung von kurzen, einprägsamen politischen Botschaften vorstellen. Anhand der Voting-Funktion ließen sich diese möglicherweise bei einer eingegrenzten Zielgruppe testen. Wer mehr erfahren will, checkt den Artikel auf Bento und bei der FAZ. Die App gibt es zum Download HIER.
Ich freue mich auf dein Feedback und deine Fragen.
Und ab sofort neu: Workshop, Schulung oder Key Note anfragen unter mail@philippgraefe.de